Sedimente entschlüsseln jahrhundertealte Wetterextreme
Ob Hochwasser in England, Hurrikane in den USA oder Waldbrände in Griechenland – extreme Wetterereignisse treten weltweit mit verheerenden Folgen immer wieder auf. Doch nicht nur heute, sondern auch früher gab es bereits solche „Naturkatastrophen“.
Ihre Spuren lassen sich in akribischer Kleinstarbeit aus geologischen und historischen Quellen rekonstruieren. Mithilfe mathematischer Rechenmodelle liefern sie die Basis für Klimarisikoanalysen, der Prognose künftiger Schäden.
„Will man beispielsweise wissen, wie viele Hurrikane in den letzten Jahrhunderten an der Küste Neuenglands auftraten, so nützen heutige Flugzeug– oder Satellitenmessungen wenig“, erklärt Manfred Mudelsee, Spezialist für Klimarisikoanalysen vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig und Inhaber des Unternehmens „Climate Risk Analysis“. „Stattdessen greift man zu einem Bohrgerät und nimmt einen Kern vom Boden des Lower Mystic Lake bei Boston, Massachusetts. In den Sedimenten sind Informationen über solche Extremwetterereignisse gespeichert – man muss sie nur zu lesen wissen.“
Durch die genaue Analyse des Seesedimentkerns lässt sich die Zeit ermitteln, wann ein Hurrikan in diesem Gebiet getobt hat. Selbst wenn es bereits mehrere Jahrhunderte her ist. „Denn damals war der See sauerstoffarm und die jahreszeitlichen Schwankungen im Sedimenteintrag blieben ungestört durch wühlende Lebewesen wie Würmer“, erläutert Mudelsee. Durch Abzählen der unterschiedlichen Ablagerungen – hell für Sand und dunkel für biogene Herkunft – leiten die Wissenschaftler eine wichtige Information ab: die Zeit. Eine Nachprüfung mit Hilfe einer absoluten Datierungsmethode wie zum Beispiel der Messung des Radiokohlenstoffs, erhöht die Zuverlässigkeit der Daten.
Die Überprüfung solcher Daten erfolgt zum einen durch andere Sedimentkerne, zum anderen durch historische Informationen. Diese reichen für Boston immerhin bis zum Jahr 1630, den Anfängen der kolonialen Besiedlung, zurück. Auf diese Weise konnten Geowissenschaftler in Amherst, Massachusetts, zusammen mit M. Mudelsee, eine Zeitreihe von Hurrikan-Ereignissen über die letzten 1.000 Jahre erzeugen. Deren Veröffentlichung ist derzeit im Gange.
Im Zentrum der Forschungen – egal ob Hurrikan oder Hochwasser – steht allerdings stets die Auftrittsrate der Ereignisse, sprich die Anzahl der Ereignisse pro Jahr. Wäre diese exakt bekannt, so ließen sich in Zukunft zwar nicht alle Schäden verhindern, doch könnte durch eine bessere Planbarkeit zumindest die Höhe der zu erwartenden Schäden minimiert werden. „Das Problem ist allerdings, dass uns nur eine endliche Anzahl von Daten über Extremwetterereignisse der Vergangenheit zur Verfügung steht“, so Mudelsee. „Man kann also „nur“ versuchen, sich der wahren Auftrittsrate zu nähern – mit entsprechender Schätzunsicherheit für die Prognosen.“
Die Fehlerbestimmung ist daher komplex und bedarf aufwändiger mathematischer Simulationen. Doch diese Berechnungen sind als Maß zur Bestimmung der Glaubwürdigkeit der Prognosen unbedingt notwendig. „Wenn die Schätzunsicherheit fehlt oder in Medien und wissenschaftlichen Veröffentlichungen verschwiegen wird, so ist das ein Indiz, dass hier entweder Amateure am Werk sind, oder dass eine andere als wissenschaftliche Motivation vorliegt“, erklärt Mudelsee nachdrücklich. „Dies schadet jedoch doppelt: sowohl der Volkswirtschaft als auch dem Ansehen der Wissenschaft.“
Quelle: Uni Leibzig
Geonet News vom 17.09.2007