Neue Suche nach Rüstungsaltlasten im heutigen Espelkamp
Eine neue historisch-genetische Studie an der Universität Mainz ist Spekulationen über Kampfstoff-Rückstände des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt Lübbecke nachgegangen.
Eine neue historisch-genetische Studie an der Universität Mainz ist Spekulationen über Kampfstoff-Rückstände des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt Lübbecke nachgegangen.
Über 50 Jahre lang wussten die Bewohner der Kleinstadt Espelkamp nicht, ob unter ihren Häusern oder in ihren Gärten vielleicht unerkannte Gefahren lauern – Gefahren durch Rüstungsaltlasten des Zweiten Weltkriegs. Denn Espelkamp entstand auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsanstalt des Heeres, der ein Lager und eine Füllstelle für Kampfstoffe angegliedert waren. „Noch bis vor einem Jahr gab es zwei Meinungen in Espelkamp bezüglich der Kampfstoffe“, sagte Univ.-Prof. Johannes Preuß von der Uni Mainz. Es habe „nie etwas gegeben“, sagten die einen. Andere waren sicher, dass eine Kampfstoffanlage betrieben wurde und jetzt noch giftige Munition im Boden lagert.
Prof. Johannes Preuß und sein Mitarbeiter Frank Eitelberg haben Licht in die von Gerüchten umrankte Geschichte der jungen Stadt gebracht: „Heeresmunitionsanstalt Lübbecke“ heißt das Buch, in dem sie detailliert die Funktion der Einrichtung während des Krieges und ihr anschließendes Schicksal rekonstruieren. „Die große Zahl der in Espelkamp angesiedelten Menschen hätte schon seit längerem eine eingehende historisch-genetische Studie erforderlich gemacht“, so die Autoren.
Espelkamp gehörte zu den Munitionsanstalten im Deutschen Reich mit einer Füllanlage für Kampfstoffe. Früher als Giftgas bezeichnet, handelt es sich bei diesen chemischen Waffen nur selten wie im Falle von Phosgen und Chlor tatsächlich um Gase, sondern meist um flüssige oder feste Substanzen. Ihre toxische Wirkung besteht darin, Haut, Atemwege, Lungen, Blut oder Nerven zu schädigen.“
Der Auftrag zum Bau einer Kampfstoff-Füllstelle in der Heeresmunitionsanstalt (HMa) Lübbecke erging im Sommer 1940. Anfang 1944 war die Anlage voll betriebsbereit. Die Aussagen der Zeitzeugen und die Quellen zeigen, dass die Füllstelle im Rahmen eines Probelaufes betrieben wurde, den regulären Betrieb jedoch nicht aufnahm. Offen bleibt, ob der Probebetrieb mit Kampfstoffen erfolgt ist. „In jedem Falle“, so heißt es in der Studie, „ist bis heute wenig über Vorgänge in der HMa Lübbecke bekannt geworden.“ Es sei zu fragen, ob Zeitzeugen nicht schon am Ende des Krieges und bis heute eine „Mauer des Schweigens“ aufgebaut hätten.
Sicher ist allerdings, dass gegen Ende des Krieges gut 10.700 Tonnen kampfstoffhaltiger Munition in Espelkamp lagerten. Die Munition stand im März 1945 zur Räumung durch die Wehrmacht bereit, um nicht in die Hände des Feindes zu fallen. Mindestens drei Züge dieser „Spitzenkampfstoffe“ wurden nach Nordenham verbracht, ein Zug mit etwa 23.000 Tabungranaten blieb vor der HMa Lübbecke stehen. Als die alliierten Truppen bei ihrem Vormarsch im April 1945 in der Munitionsanstalt eintrafen, fanden sie dort u.a. diese Grünring-III-Granaten mit Tabunfüllung vor. Im März 1946 wurden diese damals modernsten Kampfstoffe zusammen mit einer großen Menge anderer Kampfstoffmunition im Skagerrak versenkt. Hier ruhen sie mit etwa 130.000 Tonnen sonstiger Kampfstoffmunition. Ein Rest nicht transportfähiger Munition wurde in der Nähe der HMa Lübbecke gesprengt. Von den Briten vergrabene Munition wurde in den 50er Jahren geborgen und vernichtet.
Eitelberg und Preuß, der bereits über 40 Rüstungsaltstandorte untersucht hat, zeigen in ihrer Studie, dass zahlreiche Flächen im Hinblick auf eine Kontamination auffällig sind. Nach einer ersten Untersuchungsrunde ist nun klar, dass weder im Kampfstoff-Lagergebäude noch in dem Abfüllgebäude Kampfstoffe oder deren Abbauprodukte nachweisbar sind.
Das Buch beschränkt sich jedoch nicht auf die Aufarbeitung der lokalen Situation, sondern es beschreibt grundsätzliche Gegebenheiten im Zusammenhang mit der Produktion und Verarbeitung von Kampfstoffen im Zweiten Weltkrieg.
(Quelle: idw - Universität Mainz, 16.02.2004)
Geonet News vom 27.02.2004